News Release

Muss man informiert sein, um zu kooperieren?

Nicht immer, auch Unwissen kann zu Kooperation führen

Peer-Reviewed Publication

Institute of Science and Technology Austria

image: Professor Krishnendu Chatterje at ISTA, Mathematician leading the research group Computer-Aided Verification, Game Theory view more 

Credit: © ISTA

http://web.evolbio.mpg.de/social-behaviour/about/Existenzielle Probleme, wie etwa die Folgen der Ungleichbehandlung oder des Klimawandels, betreffen alle Menschen. Umso wichtiger ist es, zu verstehen, wie wir zusammenarbeiten. Am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) wurde nun basierend auf 192 Spielen und eleganter Algebra ein neues Modell der Spieltheorie entwickelt. Es zeigt, dass sowohl verfügbare als auch nicht vorhandene Information zu kooperativen Ergebnissen führen kann.


Wie Menschen in einer sich verändernden Umgebung Entscheidungen treffen, zeigt nun ein neuer Ansatz der Wissenschafterin Maria Kleshnina und der Chatterjee-Gruppe am Institute of Science and Technology Austria (ISTA). Das auf der Spieltheorie (aus dem Englischen: game theory) basierende neue Modell, welches im Fachjournal Nature Communications mit Open Access veröffentlicht wurde, beschreibt, dass die Verfügbarkeit von Informationen eng mit kooperativen Ergebnissen verbunden ist.

„Mit der aktuellen Arbeit stellen wir ein neues Modell von Spielen vor, bei denen sich die Umgebung einer Gruppe verändert. Das passiert aufgrund der Handlungen der Gruppenmitglieder, die nicht immer über alle relevanten Informationen aus ihre Umgebung Bescheid wissen. Dabei konnten wir feststellen, dass es vielfältige Wechselwirkungen zwischen der Verfügbarkeit von Informationen und kooperativem Verhalten gibt.  Es gibt Fälle, bei denen die Unwissenheit von Vorteil ist, aber auch Fälle, bei denen verfügbare Informationen hilfreich für die Zusammenarbeit sind“, fasst ISTA-Professor Krishnendu Chatterjee, der die Forschungsgruppe „Computergestützte Verifikation, Spieltheorie“ leitet, zusammen.  

Unwissenheit als Vorteil für die Zusammenarbeit?
Rein logisch betrachtet geht man davon aus, dass verfügbare Information die Zusammenarbeit fördert. Das dachte sich auch Štěpán Šimsa, einer der Autor:innen der neuen Arbeit. Seine im Jahr 2016 durchgeführten Simulationen bewiesen aber das Gegenteil: Das Unwissen über den Stand des Spiels kann sehr wohl Kooperation fördern. Basierend auf diesen Ergebnissen versuchten Christian Hilbe, ein ehemaliger Postdoc in Chatterjees Gruppe, und Kleshnina herauszufinden, wie Informationen bzw. das Fehlen von Informationen sich auf die Entwicklung der Zusammenarbeit auswirkt.

„Wir berechneten, bei welchen Spielen es nützlich ist, genaue Informationen über den Zustand der Umgebung zu haben. In etwa 80 bis 90 % der Fälle ist es von Vorteil, wenn die Spieler:innen ihre äußerlichen Bedingungen kennen und wissen, welches Spiel sie gerade spielen. Erstaunlicherweise, fanden wir aber auch einige sehr interessante Ausnahmefälle, in denen es tatsächlich optimal für die Zusammenarbeit ist, wenn die Spieler:innen nicht wissen, an welchem Spiel sie gerade beteiligt sind“, erklärt Christian Hilbe, der nun seine eigene Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Deutschland leitet.

Da der Ansatz der Forscher:innen ein idealisiertes Modell für die Zusammenarbeit in sich verändernden Umgebungen darstellt, können die Ergebnisse nicht direkt auf reale Anwendungen wie die Bewältigung des Klimawandels übertragen werden. Hierfür sei ein umfassenderes Modell erforderlich, so die Wissenschafter:innen. Trotzdem kann Kleshnina anhand des von ihr erstellten Modells eine qualitative Richtung vorgeben.

„In einem sich verändernden System ist es wahrscheinlicher, dass die Unwissenheit ein Vorteil ist, wenn sie in Systemen auftritt, die von Natur aus die Nicht-Kooperation bestrafen. Dies könnte zum Beispiel der Fall sein, wenn sich das Umfeld der Gruppe durch das fehlende Zusammenarbeiten schnell verschlechtert. In einem solchen System haben die Individuen starke Anreize zu kooperieren, umso ein unrentables Spiel in der Zukunft zu vermeiden“, so die Wissenschafterin.

Zur Veranschaulichung erklärt Kleshnina: „Wir konnten feststellen, dass in informierten Populationen die Individuen ihr Wissen einsetzen können, um differenziertere Strategien anzuwenden. Diese nuancierten Strategien können jedoch weniger wirksam sein, um die Zusammenarbeit aufrechtzuerhalten. In einem solchen Fall gibt es tatsächlich einen kleinen Vorteil der Unwissenheit für die Zusammenarbeit.“

Eine herausragende Methode
Im Wesentlichen versteht man unter Spieltheorie die Untersuchung mathematischer Modelle, die im Rahmen von Spielen oder dem Austausch logischer Entscheidungen zwischen rationalen Spieler:innen erstellt werden. Sie findet ihre Anwendungen vor allem in der Forschung zur sozialen und biologischen Evolution. In der evolutionären Spieltheorie untersuchen beispielsweise einige Modelle die Zusammenarbeit. Dabei gehen die meisten aber davon aus, dass dieselben Szenarien immer und immer wieder absolviert werden und dass die Teilnehmer:innen sich des Spiels, und seines Status, immer vollkommen bewusst sind. Die neue Studie hebt diese allgemeinen Annahmen auf, indem sie es den simulierten Spieler:innen erlaubt, im Laufe der Zeit unterschiedliche Spiele zu durchlaufen. Außerdem werden die Auswirkungen von Informationen berücksichtigt. „Das Schöne an diesem Ansatz ist die Kombination von einer eleganten linearen Algebra mit umfangreichen Computersimulationen“, so Kleshnina.

Der neue Ansatz eröffnet viele neue Forschungsrichtungen. Welche Rolle spielen zum Beispiel asymmetrische Informationen? Der oder die Spieler:in kennt vielleicht das genaue Spiel, das durchlaufen wird, eine oder ein anderer aber vielleicht nicht. Das neue Modell deckt das derzeit noch nicht ab. „In diesem Sinne hat unsere Publikation innerhalb der Theorie selbst viele zukünftige Anwendungen“, fügt Hilbe hinzu.

 


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